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Titel
Face-to-Interface. Eine Kultur- und Technikgeschichte der Videotelefonie


Autor(en)
Held, Tobias
Reihe
Welt / Gestalten 3
Erschienen
Marburg 2020: Büchner-Verlag
Anzahl Seiten
162 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Krebs, Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH), University of Luxembourg

Tobias Held präsentiert in seiner Monographie auf rund 140 Textseiten einen technik- und kulturhistorischen Schnelldurchlauf durch knapp 140 Jahre Geschichte der Bildtelefonie. Die Videotelefonie bzw. ihre Imagination sind im Grunde so alt wie das Telefon selbst. Bereits in den späten 1870er-Jahren wurden in Zeichnungen und Texten erste Bildtelefone und ihre mögliche Nutzung dargestellt und erörtert. So wurden in den 1880er-Jahren sowohl die bidirektionale Nutzung zwischen zwei bzw. mehreren Teilnehmern, als auch die unidirektionale Nutzung als Empfangsgerät für Nachrichtensendungen diskutiert. Auffällig ist, dass die Nutzung oft im häuslichen und familiären Umfeld angedacht war und Frauen als Nutzerinnen eine wichtige Rolle spielten. Leider fehlt im Buch der Hinweis, dass die erweiterte Nutzung des Telefons in dieser Zeit durchaus nicht nur als Möglichkeit diskutiert wurde, vielmehr wurde 1881 das sogenannte Théâtrophone vorgestellt, dass die telefonische Teilnahme an Konzerten, Theater- und Opernveranstaltungen ermöglichte und auch die Möglichkeit vorsah, telefonische Nachrichtensendungen zu empfangen.

Während die Videotelefonie zunächst ein bloßes Gedankenspiel war, nahm die eigentliche technische Entwicklung in den 1930er-Jahren Schwung auf, als in mehreren Ländern neue Verfahren zur Bildaufzeichnung, -übertragung und -wiedergabe erprobt wurden. Führend waren dabei u.a. die US-amerikanischen Bell Labs, die Entwicklungsabteilung des Telefonmonopolisten AT&T. Aber auch in Europa wurde an entsprechenden Systemen gearbeitet, so z.B. beim Deutschen Reichspostzentralamt. Die Post errichtete 1936 eine erste Bildtelefon-Versuchsstrecke zwischen Berlin und Leipzig. Diese Versuche erregten viel öffentliches Interesse, aber die Nachfrage blieb weitgehend aus. Der praktische Nutzen erschloss sich nicht, und die Nutzung war recht umständlich, musste man doch im Voraus auf den Postämtern in beiden Städten einen entsprechenden Termin buchen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten sich neue Ansätze der Videotelefonie auf den beruflichen Bereich. Sinnbildlich war 1947 die per Videotelefonen erfolgte Vertragsunterzeichnung zwischen dem Autobauer Chevrolet und dem Rundfunkunternehmen DuMont. Held zitiert das dazu ausgegebene Versprechen: „of doing business face to face though many miles apart“ (S. 45). Aber auch private Nutzungsszenarien wurden in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt. In den 1970er-Jahren erprobten Gerätehersteller und Telefonfirmen in zahlreichen Ländern neue Systeme. Held erläutert Beispiele aus den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Japan. Selbst in der Sowjetunion wurden Bildtelefone entwickelt, wenn auch das entsprechende Kapitel mit nur zwei Sätzen und vier Abbildungen wohl eher der Vollständigkeit halber Aufnahme fand.

Ein wiederkehrendes Motiv in der Geschichte der Videotelefonie und Helds Darstellung ist die anfängliche Euphorie über den vermeintlich bevorstehenden Durchbruch einer neuen Technikgeneration und der anschließenden Enttäuschung über den ausbleibenden Erfolg. Auch die 1990er-Jahre begannen wieder vielversprechend, da sich im Bereich der Telefoninfrastruktur mit der Verbreitung etwa von ISDN neue Möglichkeiten der schnelleren Datenübertragung und damit einer Verbesserung der Bildqualität abzeichnete. Aber ein erster Durchbruch gelang erst Anfang des neuen Jahrtausends: Als nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 für eine kurze Zeit der internationale Flugverkehr zurückging, erwachte Interesse an der Möglichkeit, Dienstreisen durch Videokonferenzen zu ersetzen. Ein nachhaltiger Erfolg war damit allerdings nicht verbunden. Parallelen zur aktuellen Covid19-Pandemie und dem Boom der virtuellen Meetings konnte der Autor natürlich nicht vorhersehen. Helds Darstellung endet mit der vermeintlichen Demokratisierung der Videotelefonie, nachdem 2005 mit Skype ein mehr oder weniger kostenloser internetbasierter Videodienst ins Leben gerufen wurde und sich ab 2010 die Nutzung von Smartphones für die Bildtelefonie etablierte. Dass dieser Durchbruch vor allem dem iPhone 4 zu verdanken sei, passt allerdings weniger zur These der Demokratisierung, vielmehr sollten die derzeitigen Debatten über den mangelnden online-Zugang vieler Schülerinnen und Schüler deutlich machen, dass der Smartphone- und Tablet-Besitz nach wie vor ein Privileg der ökonomisch Bessergestellten ist.

Als Fazit der technikhistorischen Ausführungen hält Held fest, dass die vielfachen Misserfolge der Videotelefonie vor allem auf den zu hohen Preis der meisten Angebote und die mangelhafte Technik mit zunächst kleinen und ruckelnden Bildern zurückzuführen waren. Diese Argumente wurden allerdings auch immer wieder von den Geräteherstellern und Telefonanbietern vorgebracht, wenn es darum ging aufgrund technischer Verbesserungen den nun bevorstehenden Erfolg der Videotelefonie herbeizureden. Weitere Gründe waren der von Held beschriebene Netzwerkeffekt der anfänglich geringen Verbreitung der stationären Videotelefone, die zu einer geringen Nachfrage führte, da man ja mit den Geräten ohnehin niemand anderen mit einem entsprechenden Gerät erreichen konnte. Erst die größere Verbreitung von internetfähigen Computern und Smartphones schuf hier neue Voraussetzungen. Was Held wenig diskutiert, ist, dass die Videotelefonie lange Zeit auch nicht als gesellschaftsfähig wahrgenommen wurde. Das Bildtelefonat wurde als Einbruch in die Privatsphäre empfunden und abgelehnt. Hier geht es also mehr um die nur sehr zögerliche kulturelle Aneignung einer neuen Kommunikationstechnik. Interessant wäre hier der Blick auf die Aneignungsprozesse anderer elektronischer Konsumgüter wie des Walkmans gewesen, dieser wurde anfangs ja auch vielfach dafür kritisiert, Öffentliches und Privates auf neue Weise zu vermischen.

Damit kommen wir zur Kulturgeschichte des Videotelefons, die Held parallel zur Technikgeschichte in eigenen Kapiteln erzählt. Er zeigt, wie in der Populärkultur – Zeitschriften, Comics und Filmen – die Videotelefonie vorausgedacht wurde. Ein wiederkehrendes Bild ist dabei die Verletzung der Privatsphäre durch unerwartete oder fehlgeleitete Anrufe. Diesen Aspekt der Nutzungserwartungen und -gewohnheiten verfolgt Held aber nicht systematisch weiter, vielmehr fokussiert er sehr stark auf die Darstellung der Geräte – ob Wand-, Tisch- oder Handgerät – und weit weniger auf deren Nutzungsformen. Dieser Fokus verstellt teilweise den Blick auf die Nutzungsweisen beziehungsweise die realen wie imaginierten Probleme bei der Videotelefonie – etwa der Sichtbarmachung von etwas, dass nicht sichtbar werden sollte.

Held hat zudem ein sehr enges Verständnis von Kulturgeschichte. Er untersucht die Darstellung der Videotelefonie in verschiedenen Medien der Populärkultur, aber er schreibt eben keine Kulturgeschichte des Telefonierens, die das Telefonieren als Kulturtechnik begreift, die sich erst im Laufe eines individuellen wie kollektiven Aneignungsprozesses herausbilden muss, und die in enger Wechselwirkung mit anderen Praktiken wie der vermehrten Internetnutzung dank Flatrate und DSL-Anschluss oder dem voyeuristischen Blick des Trash-TV steht.

Das teils gewöhnungsbedürftige Layout, das einige Zitate aus dem Textfluss herausrückt (S. 11), sowie einige vermeidbare Fehler – so weichen Datierungen im Text und in den Bildunterschriften schon mal voneinander ab (S. 13) – schmälern das Lesevergnügen ein wenig. Tobias Held hat aber insgesamt eine sehr unterhaltsame Zusammenschau der Geschichte der Videotelefonie vorgelegt, die sich gut als Einstieg in das Thema eignet.

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